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Nach dem 7. Oktober: Keine Toleranz für Antisemitismus
Gemeinsame Stellungnahme von Bürgerstiftung und Landesarbeitsgemeinschaft

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Der mörderische und antisemitische Überfall der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel mit 1.200 Ermordeten, 4.100 Verletzten und 240 als Geiseln Entführten ist eine Zäsur. Der seither im Zuge des Gaza-Kriegs international und besonders auch in Deutschland zu beobachtende massive Anstieg von offenem Israelhass und Antisemitismus darf nicht ohne wirksame staatliche und zivilgesellschaftliche Gegenwehr bleiben. Auch unser Engagement für die Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Folgen der nationalsozialistischen Verbrechen und für eine kritische Erinnerungskultur ist dadurch herausgefordert. 

Die Angst geht um in und außerhalb jüdischer Gemeinden: Juden*Jüdinnen werden eingeschüchtert und offen bedroht, auf der Straße angepöbelt und angegriffen, Wohnhäuser mit einem Davidstern markiert, jüdische und andere Einrichtungen mit antisemitischen Parolen besprüht; auf propalästinensischen Demonstrationen werden Israel-Fahnen verbrannt, das schockierende Hamas-Pogrom gegen Israel offen unterstützt und die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates gefordert; Mahnmale und Gedenktafeln zur Erinnerung auch an die jüdische Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus werden beschädigt oder zerstört. Jenseits der Debatte um die Folgen des Selbstverteidigungskrieges Israels gegen die Hamas im Gaza-Streifen ist diese massive Zunahme judenfeindlicher Verhaltensweisen, die auch in Schleswig-Holstein zu erkennen ist, verstörend und äußerst beunruhigend.

Entscheidende Konsequenzen aus der Barbarei des NS-Staates und seiner "Volksgemeinschaft" sind der demokratische Rechtsstaat mit unteilbarer menschenrechtlicher Grundorientierung, die Ächtung und strafrechtliche Verfolgung von Antisemitismus und Rassismus, die offene liberale Gesellschaft und die bindend humane Tradition unserer Kultur des Erinnerns an die Geschichte und Nachgeschichte der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Dabei lautet eine zentrale Erkenntnis aus der Auseinandersetzung mit den Verbrechen Hitler-Deutschlands: Der Prozess der Zivilisation hin zu einem menschenwürdigen Zusammenleben ist kein unumkehrbarer Fortschritt, das hat der Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus gezeigt. Die Menschenwürde ist stets gefährdet und potenziell antastbar.

Antisemitismus negiert die Universalität der Menschenrechte und ist in keiner Form zu akzeptieren, egal ob er politisch, rassistisch oder religiös begründet wird. Deshalb gilt es, diesem unübersehbaren Angriff auf Juden*Jüdinnen und damit auch auf unsere Grundordnung zu wehren: "Nie wieder!" bedeutete immer auch, Vorzeichen eines Rückfalls in ähnliche Formen der Menschenfeindschaft zu erkennen und entsprechend zu handeln. Insofern ist der unerträgliche grassierende Antisemitismus ein Menetekel: Die Gegenwehr aller Demokrat*innen ist hier gefordert.

Die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten und die Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein e.V. haben sich dem Gedenken der Opfer nationalsozialistischer Verbrechen, der öffentlichen Aufklärung und der politisch-historischen Bildungsarbeit zur Geschichte der NS-Herrschaft verschrieben und wissen, dass diese Anstrengung immer auf ein kritisches Geschichtsbewusstsein sowie gegenwärtige Haltungen und Handlungen zielen muss. Deshalb stellen wir uns zusammen mit vielen Akteur*innen der Zivilgesellschaft dieser Entwicklung entschieden entgegen. Wohlwissend, dass Judenfeindschaft nach 1945 und besonders in den letzten Jahrzehnten stets präsent war und immer wieder Anlass für ernste Sorgen war, stellt die aktuelle Entwicklung eine dramatische Verschärfung dieser Bedrohung dar.

Vor diesem Hintergrund rufen wir die schleswig-holsteinische Landesregierung, Kreise und Kommunen nachdrücklich dazu auf, Juden*Jüdinnen sowie jüdische Einrichtungen zu schützen und sich mit allen rechtsstaatlich-demokratischen Mitteln gegen Israelhass und Antisemitismus zu stellen. Auch Gedenkstätten und Erinnerungsorte zählen zu den gefährdeten Orten, insbesondere die hiesigen Orte zur Erinnerung an Geschichte und Verfolgung der Juden*Jüdinnen in Schleswig-Holstein, das Jüdische Museum in Rendsburg und die Kultur- und Gedenkstätte Ehemalige Synagoge in Friedrichstadt.

Die Terrororganisation Hamas zielt unverhohlen auf die Auslöschung Israels und den Tod aller Juden*Jüdinnen. Kritik an der Politik Israels ist legitim und erforderlich. Aber in Deutschland muss jeder Mensch wissen, dass die enge Verbindung der israelischen Staatsgründung 1948 mit dem nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden Israel seither zum sichersten Zufluchtsort für Juden*Jüdinnen in aller Welt gemacht hat.

Das darf und wird uns aber nicht den Blick verstellen auf die Geschichte des palästinensischen Volkes und die aktuelle humanitäre Situation der Palästinenser*innen im Gazastreifen. Gerade ein kritisches Geschichtsbewusstsein verpflichtet zu Kontextualisierungen, zu sorgfältiger und differenzierter Wahrnehmung und Bewertung historischer Entwicklungen. Und die universelle Geltung der Menschenrechte und des Völkerrechts erfordern eine schnelle und umfassende Hilfe auch für die leidenden Zivilist*innen im Gazastreifen.

Aus der deutschen Geschichte haben wir auch gelernt, dass wir Ausgrenzungen, Stigmatisierungen und Sündenbock-Erzählungen nicht zulassen dürfen. Deswegen stehen wir auf der Seite der Muslim*innen, die allen antisemitischen Bestrebungen entgegentreten. Eine Erinnerungskultur in der Einwanderungsgesellschaft, die genau diesem Anspruch gerecht wird, ist nur als demokratisch-wertegebundenes und inklusives Projekt denkbar.

Aktuell liegt eine, aus den Erfahrungen der NS-Vergangenheit erwachsende, deutsche Verantwortung genau hier: Israels Existenzrecht konsequent zu verteidigen ebenso wie das Recht der Palästinenser*innen auf einen eigenen Staat, Israel bei der Abwehr der akuten Bedrohung bestmöglich zu helfen, sich für den Schutz auch der palästinensischen Zivilbevölkerung ebenso wie von UN-Mitarbeiter*innen und Journalist*innen einzusetzen und alles für die Sicherheit von Juden*Jüdinnen hierzulande zu tun.

Vorstand der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten

Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein e.V.

15. November 2023

 

Foto: Solidaritätskundgebung auf dem Pariser Platz in Berlin am 8. Oktober 2023, dem Tag nach dem Angriff der Hamas auf Israel. - Wikipedia, Leonhard Lenz